Italien-Exkursion
Die letzte große Clausilien-Exkursion nach Italien, eine Fahrt der klimatischen Extreme.
Hartmut Nordsieck (I.2012)
Nach fünf Exkursionen nach Halbinsel-Italien in den Jahren 2009 bis 2011, von denen drei dem Studium von Leucostigma candidescens auf der mittleren und südlichen Apenninen-Halbinsel gewidmet waren (Ergebnisse siehe Nordsieck 2011), war das Ziel der letzten beiden Exkursionen in 2010 und 2011 die Erforschung der wenig bekannten Clausilienfauna der südlichen Apenninen-Halbinsel, hauptsächlich der Basilicata und Kalabriens. Diese Arbeit wurde mit der sechsten Exkursion im Oktober 2011 fortgesetzt und zu einem gewissen Abschluß gebracht. Um einmal exemplarisch das Vorgehen und die Probleme bei solchen Sammelreisen zu zeigen, soll diese Reise genauer beschrieben werden.
In der Basilicata und Kalabrien kommen hauptsächlich Arten der Gattungen Siciliaria (S. paestana, S. kobeltiana-Gruppe, siehe H. Nordsieck 2013d) und Papillifera (P. solida, P. bidens) vor; bei beiden Gattungen gibt es ungelöste taxonomische Probleme und, wie sich bereits bei den früheren Exkursionen herausgestellt hatte, neue Taxa, die beschrieben werden müssen. In der Basilicata und N-Kalabrien bis zum M. Pollino ist S. paestana verbreitet, in Mittel- und S-Kalabrien kommen die Arten der S. kobeltiana-Gruppe (S. kobeltiana, S. vulcanica, von dieser auch eine neue Unterart, und S. incerta) vor. Als Arten werden sie wegen der unterschiedlichen Merkmale ihres Verschlußapparats bei denen es soweit bekannt keine Übergänge gibt, und der z. T. mosaikartigen Verbreitung gewertet. Wegen der geologischen Verhältnisse Kalabriens – abgesehen vom M. Pollino fast nur kalkarmes Gestein, besonders in den Gebirgen – sind diese Arten meist selten und oft nur in geringen Individuenzahlen oder Einzelstücken zu finden, was die Erfassung der Verbreitung nicht gerade erleichtert. Von den beiden Papillifera-Arten erwies sich P. solida (von dieser auch neue Unterarten) in der Basilicata und Kalabrien als dominant; P. bidens war in naturbelassenen Biotopen nur an vergleichsweise wenigen Stellen der beiden Provinzen zu finden. Das Vorkommen der S. kobeltiana-Gruppe und von P. bidens affinis in Mittel- und S-Kalabrien zeigt, daß dieser Teil der Apenninen-Halbinsel von der Clausilien-Fauna her ein Teil Siziliens ist.
Um also die Erforschung der südlichen Apenninen-Halbinsel fortzusetzen, starteten meine Familie (Lebensgefährtin und Sohn) und ich am 8.X. mit dem Auto die letzte große Exkursion nach Italien. Die Fahrt ging von Alessandria (Endstation Autozug) zur Adriaküste und diese entlang bis Teramo, von wo am 9.X. eine Tour in den Gran Sasso d’Italia geplant war, um an einigen Stellen Clausilien zu sammeln. Kälte, starker Wind und Schneefall in den Bergen (Abb. 1) vereitelten diesen Plan und führten zu einer Flucht in die Abruzzen bei Avezzano, wo in bisher unbekanntem Gebiet (Abb. 2) Leucostigma candidescens und Cochlodina incisa gesammelt wurden. Letztere ist von der äußerlich ähnlichen C. laminata nicht nur im Verschlußapparat, sondern auch im Biotop (Felsen und Bäume) verschieden.
Fig. 1: Gran Sasso d’Italia, von Straße nach Assergi aus (9.X.)
Fig. 2: Straßenfelsen bei Cese unterhalb Madonna d. Pietraacquaria (9.X., Leucostigma candidescens)
Auf weitere Exkursionen in den Abruzzen wurde wegen des Wetters verzichtet und die Reise nach S nach Apulien fortgesetzt. Dort war es wärmer, so daß am 10. und 11.X. im Gebiet zwischen Corato und Tricarico gesammelt werden konnte. In Apulien in der Murge zwischen Corato und Gravina (Abb. 3-4) wurde nur P. bidens (und keine S. gibbula oder P. solida) gefunden. Auch bei der Schnecke von Castel del Monte handelt es sich um P. bidens, nicht um P. solida, wie in der Literatur angegeben (Forcart 1965: 122). P. solida erschien erst in der Basilicata bei Irsina; das Vorkommen der Art in Apulien ist also nicht gesichert.
Fig. 3: Mauer bei Corato (10.X., Papillifera bidens)
Fig. 4: Felsiges Tal bei Gravina in Puglia (11.X., Papillifera bidens)
Am 12.X. wurde es noch wärmer; Aufsammlungen in den Piccole Dolomiti der Basilicata (Abb. 5) erbrachten nur Funde von S. paestana intustructa, während auf der vorhergehenden Exkursion auch P. solida gefunden worden war. Der 13.X., der große Hitze brachte, wurde dazu genutzt, um nach Kalabrien zum M. Pollino weiterzufahren, um dort (Abb. 6-7) die früher gemachten Funde der neuen Unterarten von Medora dalmatina (siehe website-Artikel Medora Italien) und P. solida durch weitere Aufsammlungen zu ergänzen. Das Wetter und die für mein Auto unbefahrbaren Straßen im Inneren des Gebirges machten einen Strich durch diese Rechnung; deswegen fuhren wir am Abend ins mittlere Kalabrien nach Amantea weiter.
Fig. 5: Piccole Dolomiti bei Pietrapertosa (12.X., an Straße Siciliaria paestana)
Fig. 6: M. Pollino, von der Höhe oberhalb von Cerchiara di Calabria aus (13.X.)
Fig. 7: Felswände bei S. Maria delle Armi (13.X., Papillifera solida)
Dort war es am 14.X. weniger heiß, aber weiter trocken, und der Tag wurde dazu benutzt, die Verbreitung von S. kobeltiana und S. vulcanica (mit der neuen Unterart) durch Aufsammlungen in der Catena Costiera zwischen Amantea und Cosenza (Abb. 8) weiter zu klären. Nach einem gewaltigen Sturm in der Nacht, wie ich ihn noch nie erlebt habe, folgten Regenfälle, und die Arbeit wurde am 15.X. bei Regen am N- und E-Abfall des Aspromonte zwischen Cittanova und Locri fortgesetzt. In diesem Gebiet kommt neben Siciliaria-Arten (S. vulcanica und ein Fund von S. incerta) auch P. solida vor; bereits auf der vorhergehenden Exkursion war dort eine neue Unterart dieser Art entdeckt worden. Eine ähnliche Form dieser Art beherrscht den Berg von Gerace (Abb. 9-11).
Fig. 8: Straßenfelsen bei Pantanolungo (14.X., Siciliaria vulcanica)
Fig. 9: Gerace, Kastell (15.X.)
Fig. 10: dto. (15.X., Schnecken nach Regen)
Fig. 11: dto. (15.X., Papillifera solida, z. T. in Kopula)
Am 16.X., an dem die Feuchte des vorigen Regentags noch vorhanden war, konnten weitere Funde von Siciliaria vulcanica am W- und N-Abfall des Aspromonte bei Scilla (Abb. 12) und in der Umgebung von S. Cristina d’Aspromonte (Abb. 13) gemacht werden. Am 17.X., an dem es wieder warm und trocken war, wurde versucht, weitere Proben von Siciliaria– und Papillifera-Arten am E-Abfall des Aspromonte zwischen Brancaleone und Gioiosa Ionica zu sammeln; dies erwies sich wegen der Trockenheit aber als schwieriger als gedacht. Von Siciliaria-Arten wurde S. kobeltiana gefunden (Abb. 14); überraschend war das Vorkommen von P. bidens affinis an Stelle von P. solida im Bereich von Bovalino.
Fig. 12: Scilla, von Straße nach Melia aus (16.X., an Straße Siciliaria vulcanica)
Fig. 13: Straßenmauer bei Cosoleto / Aspromonte (16.X., Siciliaria vulcanica)
Fig. 14: Aspromonte von S. Ilario d. Ionio aus (17.X., an Straße Siciliaria kobeltiana)
Auch am 18. X. war es trocken, als, in Ergänzung früherer Aufsammlungen im Gebiet von Stilo, versucht wurde, die seinerzeit wegen Bauarbeiten gesperrte Auffahrt auf den M. Consolino bei Stilo (Abb. 15-16) zu nutzen, um dessen Clausilien zu studieren. Die Auffahrt war immer noch gesperrt, aber als Fußweg benutzbar; dies reichte allerdings nur, um in niederen Höhen P. bidens transitans zu sammeln, die dort oberhalb von P. b. affinis vorkommt. Leider konnte ich an diesem Berg, wie auch in anderen Gebirgen, wegen meiner eingeschränkten Beweglichkeit die Felswände der oberen Höhen nur von weitem bewundern, statt wie früher wenigstens ihr unteres Ende durch Klettern zu erreichen. Am 19.X., an dem es immer noch warm und trocken war, wurde in Serra S. Bruno neben S. vulcanica ein weiterer Fundort von S. incerta festgestellt; diese war bereits auf der vorhergehenden Exkursion an einer Stelle dieser Gegend weiter im N gesammelt worden.
Fig. 15: M. Consolino, von Monasterace aus (18.X.)
Fig. 16: dto., Felswände (18.X., Papillifera bidens)
Die folgende Fahrt nach N, zurück nach Alessandria zum Autozug, wurde am 20.X. unterbrochen, um die geplanten Aufsammlungen in den Abruzzen nachzuholen. Am Forca d’Acero bei Opi war trotz Kälte der Regen noch erträglich, so daß noch gesammelt werden konnte, aber in den folgenden Stunden wurde er so stark, daß als Alternative die ebenfalls geplante Untersuchung der Halbinsel von Gaeta gewählt wurde. Bei der Fahrt dorthin wurden die Regenfälle sintflutartig und von starken Gewittern begleitet, so daß auch das Sammeln in Gaeta erheblich eingeschränkt war. Das Ziel, die Bestätigung des Vorkommens von P. solida (caietana), wurde verfehlt; stattdessen wurden dort (Abb. 17-19) die gleichen Arten gefunden wie früher am nicht weit entfernten M. Circeo (Abb. 20): P. bidens, L. candidescens und vereinzelt S. gibbula honii. Die letztere, die möglicherweise als Art von S. gibbula zu trennen ist, kommt an der tyrrhenischen Küste mit Inseln und der Penisola Salentina vor; am Aspromonte, von wo ein Stück aus einer Serie von S. vulcanica vorliegt, konnten wir sie nicht finden.
Fig. 17: Gaeta, Kastell (21.X.)
Fig. 18: dto. (21.X., Papillifera bidens nach Regen)
Fig. 19: dto. (21.X., dto., z. T. in Kopula)
Fig. 20: Terracina und M. Circeo, vom Lido di Fondi aus (21.X.)
Trotz aller Widrigkeiten (zu den klimatischen Extremen kamen noch die immensen Strecken, die zurückzulegen waren, mit dem zugehörigen starken Straßenverkehr, und die Probleme mit den eingeschränkten Übernachtungsmöglichkeiten außerhalb der Sommersaison) kann die beschriebene Exkursion als erfolgreich bezeichnet werden. Die Verbreitung und Formenbildung der Clausilien der südlichen Apenninen-Halbinsel ist nach drei Exkursionen erheblich besser bekannt als vorher.
Literatur
Forcart, L. (1965): Rezente Land- und Süsswassermollusken der süditalienischen Landschaften Apulien, Basilicata und Calabrien. – Verhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft Basel, 78 (1): 59-184.
Nordsieck, H. (2011): Revision of the genus Leucostigma A. J. Wagner 1919 (Gastropoda: Stylommatophora: Clausiliidae). – Arch. Molluskenkunde, 140 (1): 123-147, 4 pls.